Wenn man die Existenz von Erwachsenenmalbüchern bedenkt, hört sich eine Mitgliedschaft im „Club 27“ gar nicht mehr so schlecht an. Zumindest treibt es die Jungen dazu, sich so lang es nur geht an ihrem letzten Bisschen Freiheit festzuklammern. Egal ob Selbstfindungstrip oder Yoga-Retreat: Früher oder später holt einen die Verantwortung trotzdem ein. Aber wie schlimm Erwachsenwerden nun wirklich?
Wodurch erkennt man, dass man es bereits ist? Und wie kann man die Angst davor überwinden? Diese Fragen habe ich Burkhard Gniewosz vom Fachbereich Erziehungswissenschaft gestellt – und beruhigende Antworten erhalten.
Ein Interview, ein Begriff: Erwachsenwerden
7 Uhr 45 – eine reife Uhrzeit für ein reifes Gespräch. Es dämmert noch, und mir erst. Der Unipark ist hell erleuchtet, keine Menschenseele in Sicht. Was mich sehr erleichtert: Auch Burkhard Gniewosz gähnt noch als er mich mit einer großen Tasse Kaffee in der Hand in seinem Büro begrüßt. Der Universitätsprofessor der Erziehungswissenschaft ist an der Uni Salzburg vor allem in der Jugendforschung aktiv – mit meinen Anliegen rund um den Reifungsprozess sitze ich also direkt an der Quelle.

Was heißt überhaupt „erwachsen“? Google enthaltet sich – das Synonym von „erwachsen“ scheint das Wort selbst zu sein. Schwammig zeigt sich der Begriff auch über die Alltagssprache hinaus. „Wir wären nicht die Wissenschaft, wenn wir nicht für alles unterschiedliche Perspektiven hätten“, lacht Burkhard Gniewosz. Ich könne mich zwar durch die Literatur wühlen, eine eindeutige Antwort würde ich darin aber nicht finden. Einzig auf die Jurist*innen scheint Verlass: Laut Gesetz ist erwachsen gleich Volljährigkeit. In Österreich gilt man ab dem 18. Geburtstag als mündig und geschäftsfähig. In Gedanken an mein damaliges Ich kommen mir jedoch Zweifel gegenüber dieser Maßeinheit.
Erwachsen ist, wer es sein will
Burkhard Gniewosz teilt meine Bedenken. „Unser Alter sagt nichts darüber aus, wer wir sind. Es ist lediglich eine Zeitangabe, wie lange wir schon auf dieser Erde wandern.“ Stattdessen machen Faktoren wie Lebenserfahrungen, bestimmte Ereignisse oder Bildung einen Menschen zu dem, was er ist. Für den Erziehungswissenschaftler ist jemand erwachsen, der die Rolle für sich akzeptiert. „Heute entscheidet jeder selbst, wann er die Frage ‚Bist du erwachsen?‘ mit Ja oder Nein beantwortet.“ Klingt plausibel, denke ich. Aber was, wenn man es strikt nicht sein möchte? Was, wenn man lieber im Nimmerland bleiben will?

Laut dem Jungen, der nie erwachsen wird, ist das Großwerden eine barbarische Angelegenheit, voller Unannehmlichkeiten. Der Gedanke an die Notwendigkeit eines Erwachsenenmalbuchs scheint den Peter-Pan-Lifestyle zu rechtfertigen. Das meditative Kolorieren soll den Überarbeitenden als Anti-Stress-Methode dienen – das macht es zum Sinnbild der jugendlichen Zukunftsangst. Die manifestiert sich auch im klassischen Familienkombi, dem vorörtlichen Reihenhaus, dem immer gleichen Italienurlaub.
Gegen den inneren Kinderschokoladen-Jungen
Dass das Erwachsenenwerden allerdings nur ein Scheinriese ist, erkennt man, wenn man es von Nahem betrachtet. In Wirklichkeit sei der Gewinn an Freiheiten viel größer als ihr Verlust, erklärt Burkhard Gniewosz. „Und wer sagt eigentlich, dass man erwachsen werden muss?“ Von einem Erziehungswissenschaftler hätte ich diese Aussage wohl am wenigsten erwartet. Wenn man davon ausgehe, dass die Reife an keine Zahl und Verbindlichkeiten gebunden ist, müsse niemand erwachsen werden. Man würde sich aber genauso wenig davor scheuen. Die Wurzel der Angst vor dem Erwachsenenleben liege nach Burkhard Gniewosz vor allem an dem gesellschaftlichen Druck und den damit verbundenen Erwartungen, mit denen sich das Individuum konfrontiert sieht. „Im Sinne von: Hey, du bist 25, aber du hast kein Haus, kein Kind und auch noch immer keinen Baum gepflanzt!“
Um sich von seinem Idol des nie alternden Kinderschokoladen-Jungens zu trennen, fehlt nur mehr die Methode. Wie kann man denn nun seine Angst vor dem Erwachsensein überwinden? Für Burkhard Gniewosz ist es erstmal notwendig zu lernen, wie man den Erwartungen des Umfelds selbstbewusst entgegentritt. Soziale Unterstützung sollte aber nicht unterschätzt werden. „Was man im Jugendalter nie geglaubt hat: Manchmal haben Eltern doch ganz gute Tipps!“ bemerkt er. Dass das Leben selten planbar und primär von Zufällen geprägt ist, führe bei den Betroffenen zu Unwohlsein. Am wichtigsten, um die Phase der Adoleszenz angstfrei zu verlassen: Überlegen, was einen glücklich macht und womit und eventuell auch mit wem man die nächsten Jahre verbringen möchte. Burkhard Gniewosz’ Tipp: „Einfach mal mit den Freund*innen durch die Kneipen ziehen, um in aller Ruhe zu überlegen, wo es in Zukunft hin gehen könnte.“
Rosa Mestian
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