Vor kurzem war ich im Modeladen und habe ein neues Kleid anprobiert. Da hörte ich in der Kabine neben mir ein Gespräch zwischen einer Kundin und der Verkäuferin. Die Kundin beklagte sich, dass alles sehr unvorteilhaft an ihr aussehen würde. Später sah ich die Kundin an der Kasse und war überrascht, denn sie sah ganz anders aus als ich es mir vorgestellt hatte. Viele denken kritisch über den eigenen Körper und verteufeln ihre Problemzonen, doch warum ist das eigentlich so? Und warum wollen wir schlank sein? Dazu habe ich Friederike Hönig, Psychologin in Ausbildung, befragt, die ich während meines Pflichtpraktikums an einer psychosomatischen Klinik kennen gelernt habe.
Im Rahmen meines Psychologiestudiums an der Universität Salzburg habe ich diesen Sommer für 5 Wochen mein Pflichtpraktikum an einer psychosomatischen Klinik absolviert und viele spannende Einblicke in die Arbeit von Psychotherapeuten gewonnen. Dabei lernte ich auch Friederike Hönig, die Psychologin und Psychotherapeutin in Ausbildung ist, kennen. Ich hatte die große Freude sie in Therapiestunden begleiten und für dieses Interview befragen zu dürfen. Frau Hönig ist als Psychotherapeutin ständig in Kontakt mit Patient*innen mit Essstörungen und kann aus erster Hand berichten wie es dazu kommt, dass wir den eigenen Körper kritisieren und was wir dagegen tun können.
Was können entscheidende Faktoren sein, um die ersten körperablehnenden Gedanken zu entwickeln? Und inwiefern spielen Social Media Plattformen wie Instagram eine Rolle?
Einerseits gibt es psychosoziale Faktoren wie die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper oder ein geringes Selbstwertgefühl, das durch körperbezogene Variablen definiert wird oder durch den Glauben, dass man besonders dünne Oberschenkel oder einen flachen Bauch haben muss. Andererseits gibt es auch Persönlichkeitseigenschaften wie z.B. einen hohen Perfektionismus oder das Bedürfnis nach Kontrolle. Bei vielen Jugendlichen kommt noch dazu, dass sie mit Einsetzen der Pubertät beginnen den Körper abzulehnen.
Letztendlich ist das Gefährliche an Social Media, wenn die Realität mit der Scheinwelt im Internet verschwimmt und Grenzen nicht mehr erkannt werden.
Ich glaube, dass Social Media auf jeden Fall einen großen Einfluss hat, der nicht zu unterschätzen ist. Denn es ermöglicht den ständigen Vergleich und es werden immer wieder dieselben Bilder von Schönheit suggeriert. Natürlich haben sich Jugendliche früher auch schon verglichen, aber dann eben untereinander. Das Entscheidende bei Social Media ist (und das ist auch in gewisser Weise nachvollziehbar), dass sich viele Menschen nur in perfekter Position, mit perfekter Pose darstellen. Als Zuseher*in vergisst man schnell, dass das alles Momentaufnahmen sind. Und das war eben früher als man diese Kanäle noch nicht hatte, nicht so möglich. Letztendlich ist das Gefährliche an Social Media, wenn die Realität mit der Scheinwelt im Internet verschwimmt und Grenzen nicht mehr erkannt werden. Ganz wichtig ist aber auch, dass solche Vergleiche allein nicht ausschlaggebend sind für die Entwicklung einer Essstörung oder körperablehnender Gedanken. Gerade bei Essstörungen wie Bulimie und Anorexie geht es um viel mehr als Schönheit.
Warum unterwerfen wir uns überhaupt einem Schönheitsideal?
Der Mensch braucht immer etwas dem er nacheifern kann, ein Ziel im Leben. Wenn man ohnehin schon sehr körperfixiert ist, bietet der Körper natürlich die optimale Möglichkeit, um ihn zu formen wie man möchte. Außerdem möchten Menschen immer „dazugehören“ und positive Rückmeldung bekommen. Jemand der einem Schönheitsideal entspricht, bekommt sehr viel Anerkennung und Zuspruch, was sich positiv auf den Selbstwert auswirkt. Und wer verzichtet schon gern auf Komplimente? Das eigene Aussehen ist etwas, das man sehr gut kontrollieren kann, das man in der Hand hat, wo man sich ausleben kann. Etwas was man entsprechend der eigenen Vorstellungen formen kann. Gerade weil man den Erfolg relativ schnell sieht.

Gibt es so etwas wie ein Normalgewicht? Wenn ja, ist das bei uns allen gleich?
Das eigene Körpergewicht ist genetisch vorbestimmt und bei normalem Essverhalten mehr oder weniger konstant. Dieses genetisch vorbestimmte Gewicht kann nur durch konsequente Diäten oder durch deutlich mehr essen als man eigentlich braucht verändert werden. Es kann natürlich jeder seinen Körper runterhungern und dieses Schönheitsideal erreichen, aber eben nur indem man entsprechend wenig isst. Also kurz gesagt: Es gibt kein generelles Normalgewicht, vielmehr hat jede*r ein individuelles Normalgewicht.
Es scheint, als habe der Mensch die Tendenz den eigenen Körper ständig optimieren zu wollen statt ihn zu akzeptieren. Warum ist das so?
Der Mensch strebt nach Optimierung und prinzipiell spricht auch erstmal gar nicht so viel dagegen. Ich finde auch nicht, dass sich Optimierung und Akzeptanz ausschließen. Beziehungsweise umgekehrt ist Optimierung nicht zu verurteilen und Akzeptanz auch nicht per se gut. Ich glaub ganz wichtig ist, dass man das eigene Aussehen akzeptiert und sich aus den richtigen Gründen optimieren will. Problematisch wird es aber, wenn der Wahn nach ständiger Optimierung auf Kosten der Gesundheit geschieht.
Ich glaube ganz wesentlich ist auch die Überzeugung, die wahrscheinlich viele haben, „Wenn ich erstmal schlanker bin…, wenn ich erstmal 2 Kilo abgenommen habe …, dann bin ich glücklicher“. Die Wahrheit ist aber, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun haben muss. Wenn es so wäre, dann wäre ja zwangsläufig jede schlanke Person glücklich und jede dicke Person unglücklich.
Über kurz oder lang stellt sich auch die Frage: Verschwindet mitsamt der Gewichtsabnahme auch das Problem?
Das wäre natürlich schön, die Antwort ist aber definitiv nein. So erlebt man beispielsweise bei Anorexie-Patient*innen, dass sie sich trotz extremen Untergewichts weiterhin als zu dick wahrnehmen und diesen Zustand von „das Fett ist weg“ nie erreichen. Letztendlich ist das Untergewicht nur als Symptom der Anorexie zu betrachten, weil es um tiefgreifende seelische Konflikte geht und das Nicht-Essen wird zwar als Lösungsversuch genutzt und zeigt aber letztendlich nur, dass es ein ganz fundamentales, komplexes Problem gibt.
Was sind ihre Erfahrungen mit verzerrter Körperwahrnehmung? Und was kann hilfreich sein, dass es nicht dazu kommt?
Was ich bei vielen Essstörungspatienten erlebe und mich immer wieder erschreckt ist, wenn die schon extrem untergewichtigen Patient*innen vor mir stehen und mir zeigen wo sie überall Fett am Körper haben. Diese verzerrte Körperwahrnehmung erlebt man aber nicht nur bei besonders untergewichtigen Patient*innen.
Es gibt Patient*innen die sich mehrmals am Tag wiegen und ständig den eigenen Körper abchecken. Allein diese übertriebene Beschäftigung mit dem eigenen Körper zeigt letztendlich schon, dass eine verzerrte Körperwahrnehmung gegeben ist. Typischerweise ist der eigene Körper dann auch mit ganz vielen Gefühlen wie Ablehnung oder Ekel verbunden. Auch Menschen ohne Essstörung finden immer wieder etwas womit sie weniger zufrieden sind. Entscheidend ist, dass diese Makel keine zentrale Rolle im Leben einnehmen, sondern man sich bewusst ist, dass es auch noch andere, wichtigere Dinge im Leben gibt.
Entscheidend ist, dass diese Makel keine zentrale Rolle im Leben einnehmen, sondern man sich bewusst ist, dass es auch noch andere, wichtigere Dinge im Leben gibt.
Setzt man sich ein bisschen mehr mit dem Thema auseinander merkt man schnell, dass die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper nicht nur ein individuelles Problem ist, sondern vielmehr auch ein gesellschaftliches. Wie körperfixiert finden Sie unsere Gesellschaft? Kann es sein, dass das auch kulturbedingt ist?
Ich glaube auf jeden Fall, dass unsere Gesellschaft sehr körperfixiert ist. Der Körper spielt in jeder Kultur eine große Rolle, das war auch schon immer so. Ganz einfach deswegen weil der Körper eine hervorragende Möglichkeit ist, um sich zu verwirklichen, um sich auszudrücken, um seine Ansichten und Gefühle zu kommunizieren. Ich glaube, was das körperfixierte Denken noch fördert, ist das es mittlerweile so viel Möglichkeiten gibt. Es kann ja alles was einem nicht gefällt durch operative Eingriffe korrigiert werden, den eigenen Ansprüchen entsprechend.

Mittlerweile gibt es immer mehr Bewegung in Richtung „Body Positivity“, was dazu beiträgt in mehr Akzeptanz mit dem eigenen Körper zu leben. Allerdings frage ich mich bei Begriffen wie „Curvy“ models, ob die zusätzliche Betonung alles schlimmer macht oder tatsächlich hilfreich ist?
Ich persönlich empfinde diesen Begriff als wenig bis gar nicht hilfreich, weil das den Anschein hat, dass es kein Normal, keinen Durchschnitt gibt. Bisher hat man immer von Magermodels gesprochen, jetzt wird immer mehr über Curvy models gesprochen, es scheint nur die Extreme zu geben. Also entweder man ist mager oder man ist curvy, aber was ist dazwischen? Letzendlich frage ich mich, warum man den menschlichen Körper kategorisieren muss. Soll doch jeder einfach so sein wie er ist und dann ist ja auch egal, ob man jetzt dünn ist oder ein bisschen mehr hat, solange man gesund ist.
Das finde ich bei dieser Body Positivity Bewegung so schwierig, weil ich manchmal das Gefühl habe, dass ist der Freifahrtschein für „So wie ich bin, bin ich okay, auch wenn ich schon deutlich übergewichtig bin“. Jede*r soll so sein wie er sich wohl fühlt und so wie er ist, nur gibt es eben Gewichtsgrenzen, die gesundheitsgefährdend sind. Und zwar nicht nur ins Untergewicht, sondern auch ins Übergewicht. Und wenn man eine dieser Grenzen überschreitet, dann sollte man sich mal Gedanken machen etwas zu verändern. Aus Liebe zum eigenen Körper.
Welche Tipps können Sie den Leser*innen geben, um ein gesundes und achtsames Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln?
Es ist ganz wichtig, dass man seinen Körper als Freund und nicht als Feind wahrnimmt. Statt seinen Körper die ganze Zeit zu kritisieren, sollte man sich bewusstmachen, was dieser Körper einem jeden Tag ermöglicht und leistet. Schließlich ist es so, dass wir Menschen immer älter werden und der Körper all diese Jahre bei uns ist und uns durchs Leben trägt. Darum ist es sehr sinnvoll, diesen anzunehmen, wertzuschätzen und zu pflegen. Ich glaube langfristig sind die zufrieden, die den eigenen Körper annehmen und Frieden mit ihm schließen. Wenn man ständig ein Gefühl von Ablehnung und Ekel vor seinem eigenen Körper in sich trägt, ist es schwierig ein glückliches Leben zu führen.
Ich glaube langfristig sind die zufrieden, die den eigenen Körper annehmen und Frieden mit ihm schließen.
Vielen Dank für das spannende Interview Frau Hönig und alles Gute weiterhin!
Ich hoffe der Artikel konnte dem ein oder anderen helfen die Beziehung zu seinem Körper besser zu verstehen und vielleicht sogar Frieden mit ihm zu schließen.
Eure Julia

Photo-Credits:
Titelbild: Rodolfo Sanches Carvalho via Unsplash
Bild Frauen: Billie via Unsplash
Bild Beine: Lucrezia Carnelos via Unsplash