Sollte es dich im Zuge eines Erasmus-Aufenthalts – so wie mich – nach Schweden verschlagen, dann bietet die Universität Lund jede Menge an interessanten Kursen. Diese Kurse geben dir einen Einblick in die Kultur, Gesellschaft und Lebensbereiche der nördlichen Länder. Einen davon solltest du aber auf keinen Fall verpassen, nämlich Survey of Swedish Literature. In diesem Kurs habe ich das erste Mal von Nordic Noir gehört. Was es mit diesem Subgenre der Kriminalliteratur auf sich hat und warum dir beim Lesen eine Gänsehaut garantiert ist, erfährst du in diesem Beitrag.
Während meines schwedischen Literaturkurses, habe ich meine Leselust für Schwedenkrimis und vor allem für schwedische Krimi-Romane entdeckt. Wieso das? Der Wohlfahrtsstaat Schweden ist in vielen Bereichen Vorreiter und Vorbild für andere Länder. Daher ist ein Blick hinter diese scheinbar perfekte Fassade umso interessanter. Was brodelt unter der Oberfläche? Trügt der Schein? Gibt es dunkle Geheimnisse? Nordic Noir und schwedische Kriminalromane nehmen diese Punkte genauer unter die Lupe. Sie präsentieren dir anhand von gesellschaftskritischen, brandgefährlichen Themen und einer geballten Ladung an Pessimismus und Gewalt eine ganz andere Seite von Schweden.
Nordic Noir und die Zutaten für einen gelungenen Kriminalroman
Unter Nordic Noir versteht man ein spezielles Subgenre von Kriminalliteratur, dessen Handlung in den nördlichen Ländern Europas spielt. Zu diesen Ländern zählen Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und Island. Lange Zeit blieb dieses Genre in der Region des Nordens verankert. Nach Übersetzungen ins Englische und Deutsche findet sich seine Leserschaft heute rund um den Globus verteilt. Das Genre ist mittlerweile nicht nur in Buchformat ein wahrer Kassenschlager, sondern auch im Film und Fernsehen nicht mehr wegzudenken.

Aber was zeichnet Nordic Noir nun genau aus? Typische Elemente des Settings sind raue und düstere Landschaften, Schauplätze mit spärlicher Besiedelung und eisig kaltes Wetter. Letztgenanntes wird als Wetter-Metapher auch auf die Gesellschaft übertragen und als Symbol für das kalte soziale Klima der Bewohner*innen verwendet. Die Menschen seien einsam, hätten Angst vor Konflikten und würden nicht miteinander kommunizieren. Hinzu kommen ein starker Pessimismus und eine negative Weltanschauung, Kritik am Gesellschaftssystem und das Aufmerksam machen auf soziale und politische Probleme innerhalb des Sozialstaates. Dabei wird die Spannung zwischen der blanken Oberfläche und Themen wie Mord, Frauenfeindlichkeit und Rassismus, die sich darunter befinden, deutlich.
Schwedische Kriminalliteratur: Nichts für schwache Nerven
Den Anfang der aufsteigenden schwedischen Krimi-Literatur ebnete das Autoren-Duo Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Ihre zehnbändige Reihe über Kommissar Beck war auch im Fernsehformat ein Renner. Darauf folgte Henning Mankell, der mit seinem Inspektor Kurt Wallander eine neue Welle von Kriminalliteratur kreierte. Den endgültigen Durchbruch des Genres schaffte Stieg Larssons Millennium-Trilogie über Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist. Unter den Kriminalroman-Schreibenden finden sich außerdem zahlreiche erfolgreiche Frauen, die mit ihren Romanen Klassiker der schwedischen Kriminalliteratur geschaffen haben.
Wieso können wir Kriminalromane nicht mehr aus der Hand geben? Es ist vor allem die Verbindung von aufreibender Polizeiarbeit, eiskalten Mordplänen und rätselhaften Tatorten mit schwedischer Lebensart, uralten Traditionen und gegenwärtigen sozialen Problemen. Diese Mischung macht die Geschichten so ungemein spannend und lebensecht. Aktuelle Themen, die als Handlungsbasis herangezogen werden, sind etwa finanzielle und staatliche Unterdrückung, Korruption des Sozialstaates oder Gewalt an Frauen. Hinzu kommt eine besondere Gestaltung der Protagonist*innen, die sich im herkömmlichen Genre Kriminalliteratur nicht wiederfindet und für schwedische Kriminalromane kennzeichnend ist. Es gibt viele starke Frauen-Charaktere und Anti-Helden (chaotisches Privatleben, Suchtverhalten, traumatische Vergangenheit).
Krimi-Tourismus: Auf den Spuren von international bekannten Krimi-Figuren
Manche Schwedenkrimis haben derartigen Kultstatus erlangt, dass sich daraus sogar ein eigener Tourismuszweig entwickelt hat, bei dem Fans die Schauplätze der Romane besichtigen können. In Schweden gibt es beispielsweise den Wallander-Tourismus in Ystad, die Millenium-Tour in Stockholm oder die murder mystery tour auf der Insel Fjällbacka (Göteborg) zu Camilla Läckbergs Werken. Wenn du das nächste Mal in Schweden bist, kannst du deine kulturelle Sightseeing-Tour gleich mit einer literarischen verbinden.
Buchtipps für einen mörderisch guten Lese-Abend
Die kalte und finstere Jahreszeit eignet sich perfekt für einen Krimi-Abend zu Hause. Bist du bereit, dich in die dunkle und mysteriöse Krimi-Welt Schwedens entführen zu lassen? Dann habe ich hier ein paar Vorschläge für dich:
Stieg Larsson: Verblendung (Band 1 der Millennium-Trilogie)
Was geschah mit Harriet Vanger? Während eines Familientreffens spurlos verschwunden, bleibt ihr Schicksal jahrzehntelang ungeklärt… Eine Familiengeschichte, die einen nicht mehr loslässt.
Camilla Läckberg: Die Eisprinzessin schläft
In Fjällbacka wird im gefrorenen Wasser einer Badewanne eine Leiche entdeckt. Die Tote war schön, reich und von einem dunklen Geheimnis umgeben…
Åsa Larsson: Sonnensturm
Winter in Nordschweden: Zwischen Schnee und Eis und ewiger Nacht geschieht ein schreckliches Verbrechen…

Anders de la Motte: Winterfeuernacht
Was geschah wirklich im Feriendorf Gärdsnäset, als das Luciafest ein tödliches Ende nahm?
Mattias Edvardsson: Die Lüge
Eine fast perfekte Familie, ein brutaler Mord und drei Wahrheiten. (spielt übrigens in Lund)
Hakan Nesser: Der Verein der Linkshänder
Kommissar Van Veeteren und Inspektor Barbarotti auf der Spur eines Mörders, der alle zum Narren hält.
Lars Kepler: Der Hypnotiseur
„Wie Feuer. Genau wie Feuer“. So lauten die ersten Worte des Jungen unter Hypnose. Sie öffnen die Tür zu einem Albtraum…
Karin Alvtegen: Schuld
Ein abgetrennter Zeh ist das makabre Geschenk einer Stalkerin für ihr Opfer. Peter Brolin, der ahnungslose Kurier, macht sich auf die Suche nach ihr und ahnt nicht, auf welch gefährliche Pfade er sich begibt…
Arne Dahl: Sieben minus eins
All diese verschwundenen Mädchen verfolgen Kriminalkommissar Sam Berger bis tief in seine Träume. Dann stößt er auf eine geheimnisvolle Frau, der jedes Mitgefühl zu fehlen scheint…
Wie du siehst, ist Nordic Noir wirklich nichts für schwache Nerven. Denkst du, du bist bereit für Schwedens düstere Krimi-Welt mit tiefen Abgründen, schockierenden Ereignissen und dunklen Geheimnissen? Wenn ja, dann hast du nun auf jeden Fall genug Lesestoff, um es herauszufinden.
Falls ich dein Interesse für ein Erasmus-Semester geweckt habe, oder du sogar überlegst, dieses in Lund zu absolvieren, dann lies dir doch mal meinen Blogartikel 5 Programmpunkte für deine erste Erasmus-Woche in Lund durch. Du bist dir noch nicht ganz sicher, ob es nach Schweden gehen soll? Dieser Artikel hilft dir bei deiner Entscheidung sicher weiter: 7 Gründe für (d)ein Auslandssemester in Schweden!
Vi ses,
deine Anna

Anna Z. hat seit ihrem Auslandssemester in Schweden den Norden für sich entdeckt. Wenn sie mal nicht um die weite Welt reist, findet man sie hoch oben in den Bergen. Erste Anzeichen für ihre Liebe zum Texten, gab’s schon im Kindergarten, als sich Anna aufgrund ihres Vor- und Nachnamens (A. Z.) als Buchstabenkönigin bezeichnete, die über das Alphabet regiert.
Photo-Credits:
Titelbild: Photo by Ola Grönlund on Unsplash
Bild Auto: Photo by Matt Collamer on Unsplash
Bild Buchtipp Sonnensturm: Random House Verlag